Wigald Boning

Wigald Boning, geboren 1967 in Wildeshausen, beschloss schon als Teenager, Jazzmusiker zu werden, und tourte ab 1983 mit seiner Band „KIXX“ quer durch Europa.

Nach diversen LP-Veröffentlichungen lernte Boning 1989 Horst Königstein kennen, in dessen Debütfilm „Hard Days, Hard Nights“ er den unglücklich verliebten Kochlehrling „Kurt“ spielte. Nach den Dreharbeiten zu „Der geile Osten“ über die letzten Tage der DDR stieß er zum TV-Sender Premiere, wo er eine tägliche Kolumne zum Musikmagazin „Airplay“ beisteuerte.

Ab 1993 gehörte er zum Ensemble der Comedy-Sendung „RTL Samstag Nacht“ und feierte außergewöhnliche Erfolge mit der Band „Die Doofen“.

Ab 2001 befragte er prominente Gäste in seiner „WIB-Schaukel“ und brillierte zudem ab 2004 als wissenschaftlicher Experte in der Sat.1-Show „Clever – Die Show, die Wissen schafft!“. Gemeinsam mit Bernhard Hoëcker moderierte er ab 2012 die ZDF-Sendung „Nicht Nachmachen!“, und aktuell ist er unter anderem Teil festes Panelmitglied der Fernsehsendung „Genial daneben“ und läd zusammen mit Kim Fisher in die Villa Schminke zum „Privatkonzert/Night Groves“.

Boning ist Autor diverser Bücher und gemeinsam mit Roberto Di Gioia Initiator und Plattenboss des Musiklabels „Hobby Musik“. In seiner Freizeit widmet er sich dem Ausdauersport, sammelt Nasenhaarschneider und Einkaufszettel. Boning ist seit seiner Kindheit leidenschaftlicher Werder-Bremen-Fan und Botschafter der Stiftung „Werder bewegt – Lebenslang“, mit der sich Werder Bremen seit 2008 in verschiedenen Bereichen, wie Toleranz, Gesundheit und Umweltbewusstsein, engagiert.

Interview mit Wigald Boning zu "Deutschland – Deine Fußballseele"

Wigald, bist du durch deine HISTORY-Erfahrungen bei „Wigald & Fritz – Die Geschichtsjäger“ zu „Deutschland – Deine Fußballseele“ gekommen?

Richtig, ich wurde wieder gefragt. Und da die Welt des Fußballs mir nicht fern ist, habe ich gerne zugesagt.

Du bist selbst großer Fußball und vor allem Werder-Bremen-Fan. Deine Initialzündung war allerdings die Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien, richtig?

Es war die erste bewusst wahrgenommene WM für mich. Ein sehr spannendes Ereignis. Natürlich hatte ich 1978 Pech, weil Deutschland in der Zwischenrunde in Cordoba gegen Österreich ausschied. Aber zumindest habe ich danach mein komplett gefülltes Panini-Album auf dem Flohmarkt verkaufen können.

An die WM 1974, wo Deutschland in Deutschland gegen den haushohen Favorit Niederlande im Endspiel knapp 2:1 gewann, kannst du dich nicht mehr erinnern?

1974 war ich schon sieben, verfolgte die WM aber noch nicht. An eines erinnere ich mich aber am Tag des Endspiels: Im Sommerurlaub an der Ostsee übte ich Kopfstand ganz allein am Strand, als ich in der Entfernung Leute jubeln hörte. Das muss der Siegtreffer gewesen sein oder zumindest der Ausgleich!

Hast du eigentlich selber Fußball gespielt oder bist du mehr Sympathisant von außen?

Ich bin eher Sympathisant, aber ich habe in meiner Schulzeit bis zur Oberstufe in der großen Pause immer Fußball gespielt und nachmittags auf Garagentore geschossen. „Hauptberuflich“ war ich als Halbstarker aber Leichtathlet. Wenn ich sage, man war deswegen von den Fußballtrainern umworben, ist es vielleicht übertrieben. Aber der VfB Oldenburg und andere Fußballvereine aus der Region im Norden luden einen gerne ein. Die Trainer sprechen dann vor ihren Teams vom disziplinierenden Einfluss, den man als Leichtathlet auf die Rabauken beim Fußball hätte. (lacht)

Wie verliefen die ersten Drehtage?

Unser erster Drehtag war ausgerechnet das Derby Werder gegen den HSV. Das war ganz prima, denn als Werder-Botschafter konnte ich da sozusagen offene Türen „beisteuern“. Zudem war es der Tag des Urteils, nachdem sich Vereine jetzt an den Kosten bei Polizeieinsätzen im Stadion zu beteiligen haben. Während es beim Spiel zu merkwürdigen Ausschreitungen der HSV-Fans mittels Pyrotechnik kam, war vor allem die Begegnung mit einem Jungen, der Asperger-Autist ist, sehr bewegend. Zusammen mit seinem Vater sucht er europaweit nach einem Lieblingsverein. Bis jetzt haben sie schon 80 Vereine besucht!

Du warst auch in Neustadt bei Koblenz und bist auf die mittlerweile 91-jährigeTrainer-Legende Rudi Gutendorf getroffen, der den Meidericher SV mit seiner Defensiv-Taktik, weswegen er „Riegel-Rudi“ genannt wurde, im Bundesliga-Gründungsjahr 1963 hinter dem Meister 1. FC Köln, aber noch vor Eintracht Frankfurt sensationell auf Platz Zwei geführt hatte. Er coachte nicht nur Schalke 04 und den HSV, sondern auch Nepal und die Fidschi-Inseln.

Ja, darauf habe ich mich extrem gefreut. Das war sehr beeindruckend, ihn bei sich zuhause zu besuchen und ihn dann später auch auf dem Spielfeld in Koblenz wiederzutreffen, wo ich mit der Flüchtlingsmannschaft TuS International Koblenz kickte, dessen Ehrentrainer Rudi ist. Ich habe früher sogar seine Biografie gelesen. Wenn wir jetzt von der Seele des Fußballs sprechen, muss man berücksichtigen, dass die Seele des Fußballs in unterschiedlichen Zeitaltern unterschiedlich gedeutet wurde. Als Gutendorf in den 40ern seine Trainertätigkeit begann wird „Kameradschaft“ der zentrale Begriff gewesen sein. Später hieß es dann „11 Freunde müsst ihr sein“ u.s.w..

Wie kam die Auswahl der Gesprächspartner zustande?

Wir hatten im Vorfeld ein relativ ausführliches Brainstorming, bei dem wir aus dem Vollen schöpfen konnten. Aus der großen Materialsammlung haben wir nun interessante Kombinationen ausgesucht. Ein gewisses Vorbild war für mich dabei die journalistische Vorgehensweise vom Fan-Fachblatt „11 Freunde“, das eine sehr hochwertige Publikation ist, die ich furchtbar gerne lese. Wir haben uns aber auch große Mühe gegeben, selbst etwas Gutes herzustellen.

Ist es eigentlich als Werder-Bremen-Anhänger eine Genugtuung für dich, dass der große Konkurrent im Norden, der Hamburger SV, höchstwahrscheinlich nach dieser Saison in die zweite Liga gehen wird und das als letztes Gründungsmitglied der Bundesliga, das zuvor noch nie abgestiegen war?

Genugtuung ist das überhaupt nicht bei mir. Ich bin ja erst Werder-Fan geworden, nachdem meine Cousins HSV-Fans wurden. Bei mir war das zuerst also eine rein oppositionelle Haltung. Ich wünsche dem HSV überhaupt nichts Schlechtes. Ich habe viele Freunde, die eng mit dem HSV verbunden sind; an erster Stelle Olli Dietrich, mein langjähriger Mitstreiter der Nonsens-Musikgruppe „Die Doofen“. Ich kann mir gut vorstellen, wie er sich jetzt beim Niedergang „seiner“ Mannschaft fühlt. Auch als Werder-Fan gönne ich dem HSV nur das Beste, auch wenn ich möchte, dass Werder immer etwas besser dasteht als der HSV.

Was macht die Faszination von Werder bei dir aus? Der Verein hat ja bis heute nicht mehr an die erfolgreichen Ären unter den Trainern Otto Rehhagel und Thomas Schaaf anknüpfen können.

Das Besondere an Werder ist, dass sie die vielzitierte „Werder-Familie“ tatsächlich ernst meinen. Jemand, der wie ich mit dem Verein so verbunden ist, gerät da sogar ab und an ins Staunen. Es ist hochinteressant, dass so etwas im Zeichen zunehmender Kommerzialisierung noch heute geht. Und das Stadion heißt sogar immer noch Weserstadion und trägt nicht den Namen eines Geldgebers!

Wie häufig gehst du ins Weserstadion? Wie sind deine Fußball-Sehgewohnheiten? Bist du da allein oder mit der ganzen Familie zusammen?

Leider viel zu selten, ich wohne ja schon länger in München. Wenn es hoch kommt, bin ich drei Mal im Jahr im Stadion, natürlich immer bei den Spielen von Bayern gegen Werder. Meine beiden Söhne sind ebenfalls Fußball-Fans. Der eine ist absoluter Bayern-Fan, ein richtiger Nerd! Da gibt es schon Spannungen und Konfliktpotential in der Familie! Meine Frau findet Fußball auch lustig. Und kommt gerne mal mit. Hier in München gibt es eine Werder-Fan-Kneipe. Da gehen wir auch schon mal zusammen hin. Ansonsten versuche ich, die Bundesliga-Spiele regelmäßig bei Sky zu sehen.

Die neue HISTORY-Doku hat den Titel „Deutschland – Deine Fußballseele“. Was macht für dich die Faszination am runden Leder und diesem Sport aus? Und hast du schon eine Antwort gefunden, was die deutsche Fußballseele beinhaltet?

Fußball ist eine Sportart, die einen schneller emotionalisieren kann, auch beim selbst Spielen übrigens, als viele andere Freizeitbeschäftigungen. Fußball ist der einzige Sport, den ich mir gerne und verhältnismäßig häufig ansehe. Er ist der Hauptgrund für die Existenz meines Fernsehers. So geht es vielen anderen Menschen bestimmt auch in Deutschland. Fußball ist reich an Spannung, Tragödien und Triumphen, die öffentlich verfolgt und fachkundig beurteilt werden können. Es gibt Millionen Bundestrainer, die es alle besser wissen. Dann hat Fußball noch die Ventilfunktion. Es kann sich natürlich auch negativ auswirken, wenn es zu wildem Geschrei samt Flüchen kommt. Zur ganz konkreten Fragestellung die Seele des Fußballs betreffend: Zum Beispiel kann ich mir gut vorstellen, dass man bei Gutendorf zum Begriff Kameradschaft kommen könnte, allerdings „entmilitarisiert“ durch den berühmten „Elf Freunde müsst ihr sein“-Gedanken von Sportreporter, Regisseur und Buchautor Sammy Drechsel. Was mich bisher am meisten überzeugt hat, war die Philosophie des Werder-Präsidenten Hubertus Hess-Grunewald, der sagte, es gehe beim Fußball ganz pauschal um Gemeinsamkeit, egal, ob es sich um Schiedsrichter, Rasenpflege, Vereinsführung, Vereinsmitarbeiter, alle Leute, die zuschauen, und am Ende, die ganze Stadt, die auf einmal zusammen hält, handelte. Es gibt aber auch Leute, die sagen, die Fußballseele befindet sich bei Rot-Weiß Oberhausen in der Nordtribüne. Sich da festzulegen, ist heutzutage nicht ganz so einfach, und dem gehen wir in der Doku nach.

Du bist in Wildeshausen bei Oldenburg geboren. Der VfB Oldenburg war aber nie dein Fußballverein?

Nie richtig. Ich war zwar zwei, drei Mal im Stadion. Sie waren ja 1990 mit Platz 2 richtig erfolgreich in der Zweiten Liga und klopften sogar an die Pforte der Bundesliga an. Das hat mich beeindruckt. Mein Herz erobern konnte der Verein aber nicht.

Welche Art von Fußball gefällt dir eigentlich spielästhetisch?

Das ganze Konzept vom „Totaalvoetball“, also vom „Totalen Fußball“ der Niederländischen Nationalmannschaft der 1970er-Jahre, bei dem alle zehn Feldspieler zusammen angreifen, aber auch zusammen verteidigen. Hat ihnen immerhin die Vizeweltmeisterschaften 1974 und 1978 eingebracht. Es ist die Entsprechung der 68er-Revolution.

Kann man dich als Präsentator von anspruchsvoll-witzigen Fernsehformaten als Überzeugungstäter bezeichnen?

Das ist die Voraussetzung. Und das Kriterium, nachdem ich aussuche, in welcher Fernsehsendung ich mitwirke. Hier ist es so, dass ich mich lange nicht mehr mit Fußball journalistisch beschäftigt habe – und das ist jetzt einfach mal wieder dran. Nachdem ich mich privat häufig damit auseinandersetze, halte ich mich auch bei dieser Sendung geeignet dafür.

Wirst du auch während der Doku stilecht im Fußballdress gewandet sein?

Ich hatte zuerst vor, einen grünweißen Anzug zu tragen. Doch da war die Assoziation zu Werder einfach zu naheliegend. Also habe ich auf persönliche Bitte von Produktionschef Emanuel Rotstein einen rotweißen Trainingsanzug von Adidas aus dem Jahr 1972 an. Den hat er mir mitgegeben.

Die WM steht vor der Tür. Hast du Bedenken, dass sie diesmal in Russland stattfindet? Oder siehst du es hier politisch nicht so korrekt?

Fußball war und ist immer politisch. Dass man eine WM in einem Land stattfinden lässt, bei dem es sich nicht um eine lupenreine Demokratie handelt, ist kein Novum. Ich erinnere nur an die WM in Argentinien 1978, in dem damals die Militärjunta herrschte. Die Diskussion über den Umgang mit solchen Regimes, und ob man eine WM boykottiert oder nicht, ist fast so alt wie die WM selbst.

Was sind deine Favoriten?

Die üblichen Verdächtigen: Spanien, Deutschland, Frankreich. Ob es Russland durch den Heimvorteil soweit bringt wie 2002 Südkorea, wo die Spieler einfach um ihr Leben gerannt sind, wage ich allerdings zu bezweifeln. Die Kraft der Gruppendynamik lässt sich in kaum einer Sportart hautnah so studieren wie beim Fußball. Schon kleinste Veränderungen können zu einem totalen Formverlust bei einer Person führen. Dieser gewisse Faktor der Unberechenbarkeit ist doch spannend!

Die Stadien sind voller denn je, und auch viele Frauen sind nun dabei. Stört dich die Entwicklung des Fußballs vom reinen Sporterlebnis zum Event-Charakter?

Ja, wobei ich die vollen Stadien nicht nur auf den Event-Charakter zurückführe, sondern die Dominanz gegenüber anderen Sportarten. Die Globalisierung ist komplex und die Fragmentierung der Gesellschaft immer dramatischer. Gleichzeitig ist es ein Gemeinschaftserlebnis, über das man sich wunderbar austauschen kann. Da Fußball kein so komplexes Spiel ist, wird die Konzentration auf den Fußball immer eindeutiger.

Wird Werder irgendwann mal wieder so erfolgreich wie unter Rehhagel und Schaaf?

Das ist gar nicht ausgeschlossen. Eintracht Frankfurt ist gerade ein gutes Beispiel dafür. Gegen alle Regeln und gegen alle Trends kann man Erfolg haben. Leicester City hat es 2016 in der englischen Premier League bewiesen. Die hatte niemand auf der Rechnung.

Abschlussfrage: Wie siehst du die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs?

Ich gehöre zu diesen merkwürdigen Traditionalisten, denen der Begriff „Amateur“ sympathischer ist als „Profi“, denn „Amateur“ kommt von „amare“ (dt. „lieben“). Natürlich sehe ich es kritisch, dass bald eine Transfersumme eine Milliarde Euro betragen kann. Wir werden auch mit Fußballspielen  und Übertragungen zugeschüttet. Fußball gibt es bald jeden Tag zu jeder Zeit: Vormittagsspiel, Mittagsspiel, Nachmittagsspiel, Abendspiel und Late-Night-Spiel. Das beklage ich, aber man kann auch gleichzeitig mit der Schulter darüber zucken. Ich bin halt noch Fußballromantiker – und das ist auch gut so.

Text: Marc Hairapetian (Der freie Journalist ist glühender Eintracht-Frankfurt-Fan und begleitete die Dreharbeiten von „Deutschland – Deine Fußballseele“ in Stadtallendorf publizistisch.)