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Die Massenflucht von 76 alliierten Fliegern aus einem Kriegsgefangenenlager der Nazis im März 1944 ist einer der berühmtesten Gefängnisausbrüche der Geschichte. Obwohl die deutsche Luftwaffe das Lager Stalag Luft III als ausbruchsicher konzipiert hatte, bewies der kühne Ausbruch, der 1963 in dem Film „The Great Escape“ verewigt wurde, das Gegenteil.

Als die Nazis das Hochsicherheitslager etwa 160 km südöstlich von Berlin errichteten, um alliierte Flieger, die im Zweiten Weltkrieg in Gefangenschaft geraten waren, unterzubringen – von denen viele bereits zuvor ausgebrochen waren –, ergriffen sie ausgeklügelte Maßnahmen, um das Graben von Tunneln zu verhindern, z.B. indem sie die Hütten der Gefangenen erhöhten und Mikrofone drei Meter unter der Erde entlang der Umzäunung des Lagers vergruben. Außerdem wurde das Lager auf gelbem Sand gebaut, der nur schwer zu durchstoßen und von jedem, der es versuchte, schwer zu verbergen war.

Doch die Nazis hatten nicht mit dem Wagemut und dem Einfallsreichtum der britischen, amerikanisch-kanadischen und anderen alliierten Flieger gerechnet, die sich fast ein Jahr lang abmühten, einen Tunnel zu bauen, der ihnen die Flucht aus der Gefangenschaft ermöglichen sollte. Für die Flieger war die Strafe für einen Fluchtversuch – in der Regel 10 Tage Einzelhaft nach den Regeln der Genfer Konvention – das Risiko wert.

 

Sie bauten drei Fluchttunnel: 'Tom', 'Dick' und 'Harry'

Die geheime Operation wurde von Roger Bushell geleitet und organisiert, einem Piloten der Royal Air Force, der über Frankreich abgeschossen wurde, als er an der Evakuierung von Dünkirchen beteiligt war. Im Frühjahr 1943 begannen Bushell und über 600 Kriegsgefangene mit dem Bau von drei Tunneln, die die Codenamen Tom, Dick und Harry trugen. Der Plan sah vor, dass sich jeder Tunnel über mehr als 90 Meter bis zum schützenden Wald außerhalb der Umzäunung des Lagers erstrecken sollte.

In der Baracke 104 arbeiteten die Häftlinge, die den Harry-Tunnel bauten, tagelang an den Stützpfeilern des Gebäudes, um nicht bei der Arbeit unter den Baracken gesehen zu werden. Durch eine Falltür, die sich unter einem Heizofen befand, der immer angezündet war, um die Nazi-Wachen davon abzuhalten, sich ihnen dort zu nähern, gruben sie sich mehr als neun Meter tief ein, um außerhalb der Reichweite der Mikrofone zu sein. Bei der Arbeit unter klaustrophobischen Bedingungen zogen sich die Arbeiter bis auf ihre langen Unterhosen oder gleich vollständig aus, damit der helle, goldene Sand sie nicht beschmutzte und das Misstrauen der deutschen Wachen weckte. Die Gefangenen gruben mindestens 100 Tonnen Sand aus, den sie in ihre Socken stopften und wieder diskret in die Erde der kleinen Gärten streuten und harkten, die von den Gefangenen gepflegt wurden.

Die Insassen stahlen das Material für die Operation und demontierten etwa 4.000 hölzerne Pritschenbretter, um Leitern zu bauen und die sandigen Wände der drei Meter breiten Tunnel zu stützen, damit sie nicht einstürzen. Sie packten ca. 1.700 Decken an die Wände, um die Geräusche zu dämpfen. Sie funktionierten mehr als 1.400 vom Roten Kreuz zur Verfügung gestellte Milchpulverdosen zu Grabungswerkzeugen und Lampen um, in denen sie aus Pyjamakordeln gefertigte Dochte in Hammelfett verbrannten, welches sie von der fettigen Suppe abschöpften, die ihnen serviert wurde.

Als der Tunnel immer länger wurde und der Sauerstoffgehalt langsam abnahm, benutzten die Gefangenen ein gestohlenes Kabel, um sich an die Stromversorgung des Lagers anzuschließen und damit eine Reihe von Glühbirnen zu betreiben. Sie bauten sogar ein simples Luftpumpensystem, das zum Teil aus Hockeyschlägern, Rucksäcken und Tischtennisschlägern bestand. Und sie konstruierten ein unterirdisches, von Seilen gezogenes Wagensystem zum Transport des Sandes mit Umsteigeknotenpunkten, die nach zwei Londoner Wahrzeichen benannt waren - Piccadilly Circus und Leicester Square.

Um zu verhindern, dass die Nazis von der Operation erfuhren, setzten die Flieger ein ausgeklügeltes Beobachtungssystem ein und benutzten subtile Zeichen wie das Umblättern einer Buchseite oder das Herumfummeln an einem Schnürsenkel, um auf eine sich nähernde Wache aufmerksam zu machen. Durch Bestechung der Wachen mit in Deutschland nicht erhältlichen Waren des Roten Kreuzes – wie Schokolade, Kaffee, Seife oder Zucker – gelangten die Gefangenen in den Besitz von Kameras und Reisedokumenten, die ein Team von Zeichnern zur Fälschung von Personalausweisen und Reisepässen verwendete. Sie fälschten Reisemarken, indem sie Muster in Stiefelabsätze ritzten und Schuhcreme als Tinte verwendeten. Der Plan sah vor, etwa 200 Kriegsgefangene in die Freiheit zu bringen, die danach ausgewählt wurden, wer die besten Sprach- und Fluchtfähigkeiten besaß, wer am meisten an der Vorbereitung mitarbeitete und anschließend per Losentscheid.

 

 

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Nur 76 der geplanten 200 Häftlinge entkamen

Die Nazis entdeckten irgendwann den Tunnel Tom und riefen Fotografen herbei, um ihren Fund vor der Sprengung zu dokumentieren. Während die Nazis ihre Entdeckung feierten, wussten sie jedoch nicht, dass die Arbeiten an den beiden anderen unterirdischen Gängen weitergingen. Die Häftlinge verwandelten Dick schließlich in einen Lagerraum und konzentrierten sich auf die Bauarbeiten an Harry, die Ende des Winters 1944 abgeschlossen wurden.

Gegen 22.30 Uhr in der eisigen und mondlosen Nacht des 24. März 1944 durchquerte der britische Bomberpilot Johnny Bull langsam den Tunnel, der sich mehr als neun Meter unter den ahnungslosen Nazi-Wachen befand und lugte mit dem Kopf aus dem verschneiten Boden jenseits des Lagerzauns hervor. Als er die eisige Luft einatmete und seine Lungen mit Freiheit füllte, entdeckte der schweißgebadete Gefangene jedoch, dass der Tunnel einen Meter vor dem schützenden Wald aufhörte. Dieser Fehler verlangsamte den Fluchtprozess – denn die aus dem Tunnel kommenden Häftlinge mussten nun immer auf das Signal eines bereits im Wald befindlichen Häftlings warten, dass die Luft rein ist – und machte die Pläne zunichte, alle 200 Männer zu befreien.

Das Verfahren war mühsam, denn die Gefangenen, die in Zivil gekleidet waren und gefälschte Papiere bei sich trugen, legten sich auf den seilbetriebenen hölzernen Wagen und wurden einer nach dem anderen durch den Tunnel zu ihrem Fluchtort gezogen. Weniger als ein Dutzend Männer schafften es pro Stunde, und ein teilweiser Einsturz des Tunnels sowie ein einstündiger Stromausfall während eines mitternächtlichen Luftangriffs verlangsamten die Aktion zusätzlich.

Gegen 05.00 Uhr morgens stürzte ein deutscher Soldat auf Patrouille zu allem Überfluss beinahe auch noch in den Ausgangsschacht und entdeckte somit den Tunnel. Die Gefangenen, die sich darin befanden, kletterten zurück in die Baracke und verbrannten schnell ihre gefälschten Dokumente. Die Nazis entdeckten jedoch schnell, dass 76 Häftlinge aus ihrem angeblich ausbruchsicheren Lager entkommen waren.

 

Die Nazis fingen 73 Entflohene – und richteten 50 von ihnen hin

Die Kühnheit und der Einfallsreichtum der alliierten Piloten waren der Stoff, aus dem Filme gemacht sind und der Ausbruch wurde 1963 in dem Blockbuster „The Great Escape“ mit Steve McQueen, James Garner, Richard Attenborough, Charles Bronson und James Coburn in den Hauptrollen verewigt. Für die meisten der 76 Männer, die aus dem Stalag Luft III ausbrachen, gab es jedoch kein Hollywood-Ende.

Die Nazis mobilisierten alsbald eine massive Fahndung. Sie errichteten Straßensperren, verstärkten die Grenzpatrouillen und durchsuchten Hotels und Bauernhöfe. Innerhalb von zwei Wochen gelang es den Deutschen, 73 der Entflohenen wieder einzufangen. Nur drei Männern gelang es, sich in Sicherheit zu bringen – zwei Norwegern, die sich als blinde Passagiere auf einem Frachter nach Schweden retteten und einem Niederländer, der es mit der Bahn und zu Fuß bis nach Gibraltar schaffte.

Ein wütender Adolf Hitler ordnete persönlich die Hinrichtung von 50 der Ausbrecher an, um andere Gefangene zu warnen. Unter Verstoß gegen die Genfer Konvention verschleppten Gestapo-Agenten die Flieger – darunter auch Bushell und Bull – an abgelegene Orte und ermordeten sie. Nach dem Krieg stellten britische Ermittler die Gestapo-Mörder jedoch vor Gericht. Im Jahr 1947 befand ein Militärtribunal 18 Nazis für schuldig Kriegsverbrechen begangen zu haben, weil sie die wieder eingefangenen Häftlinge erschossen hatten und 13 von ihnen wurden hingerichtet.

 

 

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